Die im Zeitpunkt der Entscheidung 26-jährige Tochter ist einkommens- und vermögenslos. Mit 15 Jahren sprang sie vom vierten Stock eines Gebäudes und erlitt dabei ein Polytrauma. Sie könnte leichte Arbeiten im Sitzen ausüben, da sie aber an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit suizidalen Tendenzen, Depressionen, psychosomatischen Beschwerden, selbstverletzenden Verhalten und Essstörungen leidet, ist sie nicht in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Es steht nicht fest, wann eine Besserung eintritt. Sie steht seit Jahren in orthopädischer und psychiatrischer Behandlung, ist nicht arbeits- und ausbildungsfähig und kann kein Einkommen erzielen.
Der Kindesvater beantragte ihn von der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seiner volljährigen Tochter zu befreien und blitzte damit ab.
Das Erstgericht meinte, Selbsterhaltungsfähigkeit sei nicht eingetreten, weil die Tochter infolge ihrer psychischen und orthopädischen Erkrankungen ohne ihr Verschulden nicht in der Lage ist, ihre Ausbildung zielstrebig zu verfolgen oder eine Erwerbstätigkeit anzunehmen.
Sie sei ständig in ärztlicher Betreuung und Behandlung und habe es nicht schuldhaft unterlassen, entsprechende Behandlungen und Therapien zur nachhaltigen Verbesserung ihres Gesundheitszustandes in Anspruch zu nehmen. Es könne ihr daher nicht vorgeworfen werden, sie entziehe sich rechtsmissbräuchlich einer zumutbaren Behandlung und bemühe sich nicht um eine Besserung ihres Zustandes, um Unterhaltszahlungen ihres Vaters zu erreichen.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung und fügte hinzu: Wenn ein 15 jähriges Mädchen aus dem vierten Stock eines Gebäudes springe, um sich das Leben zu nehmen, indiziere dies eine gravierende psychische Ausnahmesituation, die ein Verschulden daran, sich selbst erhalten zu können, ausschließe. Wegen der schweren Persönlichkeitsstörung können der Tochter die Selbstmordversuche und Selbstverletzungen nicht vorgeworfen werden.
Das Berufungsgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs an den OGH zu, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Fall fehlt.
Der OGH schloss sich der Ansicht der ersten beiden Instanzen an: Ist die Selbsterhaltungsfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung des Kindes nicht eingetreten, ist ein Unterhaltsanspruch nur bei Rechtsmissbrauch zu verneinen. Ob ein Rechtsmissbrauch vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Im vorliegenden Fall warf der Vater seiner Tochter ihre „zahllosen Selbstverletzungen und Selbstmordversuche“ vor. Dabei übersah er nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs, dass nach den unangefochtenen Feststellungen selbstverletzendes Verhalten und suizidale Tendenzen Teil der ei der Tochter besehenden schweren Persönlichkeitsstörungen sind und ihr schon daher nicht als rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen sind.
OGH 8 Ob 97/14v, iFamZ 2015,21.