Am wohl heißesten Tag dieses Sommers verhandelten zwei ambitionierte Anwältinnen, deren Klienten und eine engagierte Richterin an einem Bezirksgericht über die Aufteilung ehelichen Vermögens. Die Vergleichsgespräche scheiterten ziemlich rasch. Also wurden die Standpunkte der Parteien vorgetragen und Beweise vorgelegt. Rechnungen, Fotos, Zeitungsausschnitte usw. stapelten sich auf den Tischen. Mehrmals entbrannten hitzige Debatten, gestritten wurde (unter anderem) um ein Haus im Süden und den Schattenwert der Ehewohnung, einer besonders günstigen Mietwohnung in Wien.
Steht dieser überhaupt zu, wenn der Ehepartner, der den Schattenwert begehrt, schon eine andere Wohnung hat? Die Anwältin des Mannes meinte ja, da dieser aufgrund unrichtiger Behauptungen der Frau aus der Ehewohnung weggewiesen wurde und seither in einer bloß notdürftig eingerichteten Ersatzwohnung hause. Die Anwältin der Ehefrau beantragte einen sofort durchzuführenden Lokalaugenschein in der Wohnung des Mannes, dessen neue Bleibe ganz in der Nähe des Gerichts liegt.
Die Richterin schnappte ihr Diktiergerät, die Anwältinnen ihre Aktentaschen und alle marschierten freundlich smalltalkend schnurstracks in die Wohnung des Mannes. Dort trafen sie zwei Männer an, die in einem sonst leeren Zimmer einen Schrank zusammenbauten, der gerade geliefert worden war.
Wer sich auf einen Prozess einlässt, muss auf Überraschungen gefasst sein. Es ist daher enorm wichtig seinen Anwalt vollständig und wahrheitsgetreu über alle relevanten Fakten zu informieren. Nichts ist unangenehmer und schadet Ihrem Image vor Gericht mehr, als wenn ihr Anwalt von Ihrer außerehelichen Beziehung, Ihrem Nebeneinkommen oder Ihrer bereits gekauften neuen Wohnung durch den Gegner erfährt.
Wien, am 26. August 2015
Dr. Ingrid Bläumauer