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Bei Scheidung oder Trennung haben die Eltern eine Vereinbarung über die Obsorge sowie darüber zu treffen, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird. Die Vereinbarung einer Doppelresidenz, bei der das Kind abwechselnd von beiden Eltern betreut wird, in dem es z.B. eine Woche beim Vater und eine Woche beider Mutter lebt, lehnte der Gesetzgeber im KindRÄG 2013 ab.

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat sich nun aber in einer zugegebenermaßen viel diskutierten Entscheidung (42R 321/14p ; Beck, Muss Kinderbetreuung hauptsächlich sein?, ifamZ 2015,17; AnwBl 2015/04), über das Erfordernis der Festlegung eines Haushalts in dem das Kind hauptsächlich betreut wird, hinweggesetzt und so eine sog. „ Doppelresidenz“ des Kindes genehmigt.

Die Kindeseltern waren nicht verheiratet, sie trennten sich im Jahr 2004. 2013 beantragte der Kindesvater die gemeinsame Obsorge. Dies begründete er damit, dass er seit Geburt des Kindes alle Pflichten der Kinderbetreuung mit der Mutter geteilt habe. Seit der Trennung lebe die Tochter die halbe Zeit beim ihm. De facto werde eine Doppelresidenz geführt. Er komme für den Unterhalt seiner Tochter auf, nehme alle Arzttermine in dieser Zeit wahr etc. Er treffe in der Zeit, in der seine Tochter bei ihm sei, alle relevanten Entscheidungen für sie. Um dies auch rechtlich abzusichern, strebe er die gemeinsame Obsorge an. Dies sei auch der ausdrückliche Wunsch der Tochter.

Die Mutter sprach sich gegen eine gemeinsame Obsorge aus, da seit mehr als neun Jahren massive Konflikte zwischen ihr und dem Kindesvater bestehen. Sie gestand aber zu, dass das seit 2009 praktizierte Kontaktrecht, welches in Form einer 50 : 50 Betreuung des Kindes praktiziert werde, funktioniert, solange keine direkten Übergaben des Kindes von einem Elternteil an den anderen stattfinden. Die Kommunikation zwischen den Eltern beschränke sich auf das Notwendigste.

Das Gericht betraute dennoch beide Elternteile mit der gemeinsamen Obsorge und schloss sich bezüglich des Themas „Doppelresidenz“ der Ansicht Kathreins (Kindschafts- und Nammensänderungsgesetz 2013, ÖJZ 2013/23[203] an, der meint, eine annähernd gleichteilige Ausübung der Obsorge nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft sei nicht kategorisch ausgeschlossen. Zu denken sei hier an die durchaus praktischen Fälle, in denen das Kind durch die gleichteilige Betreuung nicht in seinem Lebensmittelpunkt zerrissen wird,
beide Eltern schon vor der Auflösung der Ehe oder Trennung der Gemeinschaft die Aufgaben und Lasten der Betreuung gemeinsam getragen haben, ihre Lebens – und Vermögensverhältnisse so beschaffen sind, dass keine Auswirkungen auf die finanzielle Sicherung des Kindes zu befürchten sind, und die trotz der Trennung immer noch ausreichend miteinander kommunizieren.

Nach Ansicht des LG für ZRS Wien ist die Doppelresidenz trotz aller Divergenzen zwischen den Eltern, aufgrund des tatsächlich gelebten Zustandes, der auch die Wünsche und Bedürfnisse der Minderjährigen berücksichtigt, im Sinne des Kindes. Das LG für ZRS Wien ließ einen ordentlichen Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof zu, da eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der vorläufigen gemeinsamen Obsorge unter Beibehaltung der Doppelresidenz nicht vorliegt. Das Höchstgericht wurde in diesem Fall nicht angerufen.