Wann besteht Anspruch auf Billigkeitsunterhalt? Höhe, Dauer & Voraussetzungen bei gleichteiligem Verschulden nach Scheidung in Österreich.
Unterhalt nach Billigkeit in Österreich (§ 68 EheG) erklärt: Wer hat Anspruch bei gleichteiligem Verschulden nach Scheidung? Welche Voraussetzungen gelten und wie wird die Höhe berechnet?
Scheidung und Unterhalt in Österreich: Das Verschuldensprinzip gilt weiterhin
Viele Mandant:innen nehmen an, dass das Verschuldensprinzip bei Scheidungen in Österreich längst abgeschafft wurde. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Der Verschuldensausspruch ist bis heute entscheidend für den nachehelichen Unterhalt.
Unterhalt bei überwiegendem Verschulden
Wenn ein Ehepartner die Ehe allein oder überwiegend verschuldet hat, muss er dem anderen Ehepartner Unterhalt leisten.
Die Höhe richtet sich nach den von der Rechtsprechung entwickelten Richtwerten:
- 33 % des Nettoeinkommens des Verpflichteten, wenn er allein verdient.
- 40 % des gemeinsamen Einkommens, wenn beide verdienen – abzüglich des Einkommens des Berechtigten.
Beispiel:
Ein Ehemann verdient netto 3.000 €, seine Ehefrau 1.200 €. Bei Verschuldensunterhalt beträgt die Bemessungsgrundlage 40 % von 4.200 € = 1.680 €. Abzüglich des eigenen Einkommens der Ehefrau (1.200 €) ergibt sich ein Anspruch von 480 € monatlich.
Unterhalt nach Billigkeit: Was regelt § 68 EheG?
Komplexer wird die Situation, wenn beide Ehepartner gleichteilig schuld an der Scheidung sind.
In diesem Fall besteht kein Anspruch auf klassischen Verschuldensunterhalt. Stattdessen eröffnet das Ehegesetz in § 68 die Möglichkeit eines sogenannten Unterhalts nach Billigkeit.
Kerngedanke des Billigkeitsunterhalts:
Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass ein Ehepartner nach einer Scheidung trotz langer Ehe völlig mittellos bleibt, nur weil beide gleich schuld sind. Der Billigkeitsunterhalt ist daher eine Art Auffangregelung.
Er soll aber nur bescheiden ausfallen und ist als Zuschuss konzipiert – nicht als vollwertiger Ersatzunterhalt.
Voraussetzungen für Billigkeitsunterhalt (§ 68 EheG)
Damit ein Anspruch auf Unterhalt nach Billigkeit entsteht, müssen strenge Voraussetzungen erfüllt sein:
1. Keine Selbsterhaltungsfähigkeit
Der Ehepartner kann seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen sichern.
2. Keine Deckung durch Vermögen oder Erträge
Vorhandenes Vermögen oder Kapitaleinkünfte müssen zuerst eingesetzt werden.
3. Keine zumutbare Erwerbstätigkeit möglich
Nach der sogenannten Anspannungskriterien wird geprüft, ob eine Arbeitsaufnahme zumutbar wäre. Ist dies der Fall, wird ein fiktives Einkommen angerechnet.
Beispiel:
Eine geschiedene Ehefrau hat jahrelang nicht gearbeitet und ist nach der Scheidung 58 Jahre alt. Obwohl sie grundsätzlich noch arbeiten könnte, ist ihre Chance auf dem Arbeitsmarkt realistisch gering. Hier könnte das Gericht Billigkeitsunterhalt zusprechen.
Wie hoch ist der Unterhalt nach Billigkeit?
Die Höhe des Billigkeitsunterhalts ist nicht gesetzlich fixiert, sondern hängt von einer gerichtlichen Billigkeitsentscheidung ab.
Maßgebliche Kriterien:
- Einkommen und Vermögen des Verpflichteten,
- Bedürfnisse des Verpflichteten,
- Dauer der Ehe,
- Grund der fehlenden Selbsterhaltungsfähigkeit.
Richtwerte der Judikatur
In der Praxis haben sich folgende Richtwerte durchgesetzt:
- 10–15 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen.
- Der Betrag darf den Ausgleichszulagenrichtsatz nicht überschreiten.
Beispielrechnung:
Der unterhaltspflichtige Ex-Ehemann verdient netto 2.800 €. Das Gericht könnte bei Billigkeitsunterhalt einen Zuschuss von ca. 280–420 € zusprechen, sofern die Ex-Ehefrau keine eigenen Einkünfte hat.
Unterschiede zum klassischen Verschuldensunterhalt
Kriterium | Verschuldensunterhalt | Billigkeitsunterhalt (§ 68 EheG) |
Voraussetzung | Überwiegendes Verschulden eines Ehepartners | Gleichteiliges Verschulden |
Höhe | 33 % / 40 % – abzüglich Eigeneinkommen | 10–15 % des Nettoeinkommens |
Dauer | Grundsätzlich unbegrenzt möglich | kann zeitlich befristet sein |
Charakter | Voller Unterhaltsanspruch | Ausnahme, nur Zuschuss |
Typische Streitfragen beim Billigkeitsunterhalt
In unserer Praxis als Kanzlei sehen wir immer wieder folgende Themen:
- Ab wann ist eine Erwerbstätigkeit zumutbar?
→ Hier gibt es viel Streit, z. B. bei älteren Ehepartnern oder nach langer Berufspause. - Wie lange wird Billigkeitsunterhalt zugesprochen?
→ Oft nur für eine Übergangszeit, bis eine Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen werden kann. - Wie wird Vermögen berücksichtigt?
→ Vermögen bzw. Vermögenserträge sind zu verwenden.
Beispiele aus der Praxis
Beispiel 1: Gleichteiliges Verschulden – Frau ohne Einkommen
Nach 20 Ehejahren trennen sich die Eheleute. Beide sind gleich schuld an der Scheidung. Die Ehefrau war immer Hausfrau, der Ehemann verdient 3.500 € netto.
→ Das Gericht könnte einen Billigkeitsunterhalt von rund 350–500 € zusprechen, um die Existenz der Ehefrau abzusichern.
Beispiel 2: Mann arbeitsfähig, aber nicht arbeitend
Ein geschiedener Mann (45) fordert Billigkeitsunterhalt von seiner Ex-Frau, die 2.800 € netto verdient. Er selbst arbeitet nicht, könnte aber mit seiner Ausbildung etwa 1.500 € verdienen.
→ Hier könnte das Gericht nach Anspannungskriterien keinen Billigkeitsunterhalt zusprechen.
Fazit: Billigkeitsunterhalt ist die Ausnahme
Der Unterhalt nach Billigkeit (§ 68 EheG) ist kein Standardanspruch, sondern eine eng begrenzte Ausnahme.
Er greift nur, wenn bei einer Scheidung gleichteiliges Verschulden vorliegt und ein Ehepartner ohne Unterstützung nicht existenzsichernd leben könnte.
Für Betroffene bedeutet das:
- Billigkeitsunterhalt ist immer ein Zuschuss, kein voller Ersatzunterhalt.
- Die Höhe liegt meist bei 10–15 % des Nettoeinkommens.
- Erwerbsfähigkeit und vorhandenes Vermögen sind immer vorrangig zu berücksichtigen.
Häufige Fragen
Wann bekomme ich Unterhalt nach Billigkeit?
Nur bei gleichteiligem Verschulden und fehlender Selbsterhaltungsfähigkeit.
Wie lange wird Billigkeitsunterhalt gezahlt?
Das kommt auf die Umstände des konkreten Falles an.
Wie unterscheidet er sich vom Verschuldensunterhalt?
Er ist deutlich geringer und hat Ausnahmecharakter.
Wie hoch ist Billigkeitsunterhalt in Österreich?
In der Praxis zwischen 10 und 15 % des Nettoeinkommens des Pflichtigen, maximal bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz.
Rechtliche Beratung zu Unterhalt nach Scheidung
Jede Scheidung ist individuell – und damit auch jeder Anspruch auf Unterhalt. Ob im konkreten Fall Verschuldensunterhalt oder Billigkeitsunterhalt nach § 68 EheG besteht, hängt stark von den persönlichen und wirtschaftlichen Umständen ab.
Ich berate Sie umfassend zu den Themen Scheidung, Unterhaltsansprüche und gerichtliche Durchsetzung. Vereinbaren Sie gerne einen Termin für eine persönliche Beratung.
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